21 Mai 1864 - Völkermord an den Tscherkessen

Die siegreichen Russen hielten auf der Waldwiese Kbadaa bei Sotchi, heute bekannt als die rote Waldwiese, eine Militärparade ab. Kbadaa war die letzte Bastion der Tscherkessen und fiel am 21. Mai 1864, was als Ende des russisch-kaukasischen Krieges gilt. 150 Jahre später fand im Winter 2014 an genau diesem Ort die Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Sotschi, Russland statt. Die tragische Geschichte dieses Ortes und der hier einst ansässigen Tscherkessen wurde von Russland und dem Olympischen Komitee systematisch verschwiegen und ausgeblendet, als ob diese Tragödie niemals stattgefunden hätte.

Über ein Jahrhundert hinweg kämpften die Tscherkessen mit Säbeln und Musketen gegen die übermächtigen russischen Invasionsheere, die mit Kanonen und Kriegsflotten ausgestattet waren. Die eigentliche Tragödie begann jedoch mit der gezielten Vertreibung und Deportation der Tscherkessen und Abchasen. Das Russische Reich hatte nicht nur das Ziel, den Nordkaukasus zu erobern und zu kontrollieren, sondern es verfolgte auch aktiv die ethnische Säuberung des Westkaukasus. Keiner der Beteiligten Generäle leugnete jemals die Absicht der ethnischen Säuberung.

Der Völkermord oder Tsitsekun war eine systematische Massenmord-, ethnische Säuberungs- und Vertreibungskampagne des russischen Reiches, bei der 80-97% der tscherkessischen Bevölkerung - etwa 800.000-1.500.000 Menschen - während und nach dem Russisch-Tscherkessischen Krieg (1763-1864) umgebracht oder vertrieben wurden. Andere muslimische Völker des Kaukasus waren ebenfalls von der Entfernung betroffen. Berichte über die von den russischen Streitkräften verwendeten Methoden wie das Pfählen und Aufschlitzen der Bäuche schwangerer Frauen sind bekannt. Russische Generäle wie Grigory Zass beschrieben die Tscherkessen als "unmenschlichen Abschaum", glorifizierten den Massenmord an zivilen Tscherkessen, rechtfertigten ihren Einsatz in wissenschaftlichen Experimenten und erlaubten ihren Soldaten, Frauen zu vergewaltigen.


Unmittelbar nach Kriegsende verkündete der Generalstab der Kaukasusarmee mit spürbarem Stolz: "In diesem Jahr 1864 ist eine Tat vollendet worden, die beinahe ohne Präzedenzfall in der Geschichte ist: Nicht einer der Bergbewohner verbleibt auf seinem früheren Wohnplatz, und es werden Maßnahmen ergriffen, um die Region zu säubern und sie für die neue russische Bevölkerung vorzubereiten." Einige Jahre später bestätigte der russische General und Kriegsteilnehmer Rostislaw Fadejew in einem seiner Bücher: "Der Staat benötigte das Land der Tscherkessen, hatte aber absolut keine Verwendung für sie."

Die Tscherkessen wurden in Küstenschluchten zusammengetrieben und waren bereits zu diesem Zeitpunkt durch Mangelernährung, Krankheiten wie Typhus und Pocken geschwächt. Die Berichte von Augenzeugen wie Adolph  Berge und Ivan Drozdov beschreiben Szenen von Tod, Verzweiflung und Elend, die sich den Betrachtern ins Gedächtnis brannten.

Vor allem Tscherkessen und Abchasen wurden ins osmanische Reich zwangsumgesiedelt. Tausende, die nicht unter dem Joch der Russen leben wollten aber auch nicht ihre Heimat verlassen wollten, legten sich an der Küste des Schwarzen Meeres in der glühenden Hitze zum Sterben in den Sand. Andere stürzten sich von den Felsen in die Schluchten herab um nicht in die Hände der Russen zu fallen. Diejenigen, die es bis zur Schwarzmeerküste schafften, mussten zuvor ihre Habseligkeiten zu einem geringen Preis an russische Soldaten verkaufen, um ihre Überfahrt bei türkischen Schiffsbesitzern bezahlen zu können. Die türkischen Schiffer verdienten eine Menge Geld an den Flüchtlingen, was den letzten Akt der totalen Ausbeutung der Tscherkessen darstellte. Die Vertreibung der Tscherkessen war eines der brutalsten und unmenschlichsten Verbrechen des 19. Jahrhunderts. Viele kamen während der Überfahrt auf dem Schwarzen Meer um und manche sprangen aus Sehnsucht von den Schiffen ins Meer um wieder zurück in die Heimat zu kehren. 

Mit osmanischen und russischen Frachtern wurden die Tscherkessen in verschiedene Küstenstädte des osmanischen Reiches, wie Samsun, Trabzon, Sinop, Varna, Izmir, Izmit, Istanbul, Antalya, Iskenderun, Lazkiye Hayfa und Iskenderiye gebracht. Viele Orte waren klimatisch so ungünstig dass unter den Flüchtligen Seuchen ausbrachen. An manchen Orten starben täglich hunderte von Menschen. Die türkischen Behörden waren auf die Ankunft so vieler Menschen zu keinem Zeitpunkt vorbereitet und so nahm die Tragödie ihren Lauf. Bis heute gibt es nur Schätzungen über die Zahl der Flüchtlinge als auch über die Zahl der Toten während der Zwangsumsiedlung.


Kartenbeschreibung:
Blauer Pfeil – Zeigt die Route und die Siedlungsgebiete der Tscherkessen und  Abchasen die aus dem Nordkaukasus vertrieben worden sind.
Roter Pfeil – Zeigt die Umsiedlung der auf dem Balkan angesiedelten Tscherkessen und Abchasen in den Nahen Osten und nach Anatolien.


Der Entschluss des Osmanischen Reiches, eine große Anzahl von Flüchtlingen aus dem Kaukasus aufzunehmen, hatte weniger mit humanitären Erwägungen zu tun. Es ging vielmehr darum, das islamische Element im multireligiösen Staat zu stärken und die Wehrkraft des Staates zu erhöhen. Die Regierung beabsichtigte, 20.000 tscherkessische Soldaten zu rekrutieren, um ihre Armee zu verstärken, und plante auch, das bevölkerungsarme Anatolien mit den Flüchtlingen zu besiedeln. 
Ein Teil der Vertriebenen aus dem Nordwestkaukasus wurde vom osmanischen Reich als Wehrbauern auf dem Balkan angesiedelt. Nachdem russisch - türkischen Krieg 1877-1878 aus dem die Russen siegreich hervorgingen und dem daraus resultierenden Vertag von Berlin, in dem festgelegt wurde, dass alle Tscherkessen und Abchasen den Balkan verlassen müssen, erfolgte eine weitere Zwangsumsiedlung dieser Völker. Diese wurden nun in den Westen der Türkei umgesiedelt, vorwiegend um die Städte Balikesir, Sakarya, Bolu und Eskisehir und mit Schiffen in den Nahen Osten, nach Syrien und Palästina gebracht.
Ein weiterer Teil der Tscherkessen und Abchasen aus dem Kaukasus wurde von der türkischen Schwarzmeer Stadt Samsun über Tokat, Kayseri, Adana, Hatay bis hin nach Amman Jordanien angesiedelt. Durch den Zerfall des osmanischen Reiches und der Entstehung neuer arabischer Länder im 20 Jahrhundert, leben die Tscherkessen heute verstreut und voneinander getrennt innerhalb verschiedener Länder wie der Türkei, Syrien, Jordanien und Israel. Die Tscherkessen kämpfen auch heute noch mit den Folgen des Genozids. Als Diasporavolk sind sie durch Assimilation bedroht, was ihren Fortbestand gefährdet.

Aktuelle Siedlungsgebiete der Tscherkessen in der Diaspora

Auf dem ersten Weltkongress der Tscherkessen im Jahre 1991 in Nalchik Kabardino-Balkarien, wurde per sonder Dekret von den Parlamenten der autonomen Republiken Adygeja, Kabardino-Balkarien und Karatschai-Tscherkessien, der 21 Mai als Trauertag des tscherkessischen Volkes ausgerufen. Tschetschenien erklärte im Jahre 1994 den 21 Mai als "Tag der Wiedergeburt der Völker des Nordkaukasus" und regte die Gründung eines "internationalen kaukasischen Gerichtshofes" mit Sitz in Suchumi- Abchasien an, dessen Aufgabe die offizielle Verurteilung " Der Henker der kaukasischen Völker" sein soll.
Das Schicksal der Tscherkessen ist ähnlich der Tragödie der Indianer. Trotzdem wird dem Schicksal der Tscherkessen wenig Aufmerksamkeit geschenkt, da sie es nicht verstanden haben, es der Öffentlichkeit nahe zu bringen.



Irfan Genel

Quellen:
- Ali und Hasan Kasumov.: Çerkes Soykrimi, Ankara 1995
- Naira Gelaschwilli.: Georgien ein Paradies in Trümmern, Berlin 1993
- Batiray Özbek.: Die tscherkessischen Nartensagen, Heidelberg 1982
- Uwe Halbach.: Krisenherd Kaukasien / Von Mansur zu Dudajew? Wiederstandstradition der
nordkaukasichen Bergvölker, Baden Baden 1995
- Batiray Özbek.: Bibliographie der Tscherkessen, Ankara 1993

Tscherkessischer Kulturverein Köln e.V.


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